11
März
2022

Was uns bewegt – „Krieg in der Ukraine“

Aufgrund der aktuellen Ereignisse ergänzen wir unsere Monatspost um eine Sonderausgabe. Dabei weichen wir auch etwas von der Form der regulären Monatspost ab. Wir, Diana Aust und Katrin Firmthaler-Ködel, beschreiben, was uns bewegt – unsere Gedanken, unsere Emotionen unsere Sichtweisen. Wir verstehen das Geschriebene als Momentaufnahme unserer derzeitigen Wahrnehmung. Das bedeutet, hier findet sich keine endgültig ausgereifte Theorie mit einer perfekten Lösung. Vielmehr beschreibt Jede von uns, was in ihren Emotionen und Gedanken in Bewegung ist, damit wir uns begegnen können. Wir haben uns bewusst entschieden, die jeweilige Wahrnehmung der Einzelnen stehen zu lassen und zu zeigen. So werden Verschiedenheit, Vielfalt und Komplexität sowie Individualität sichtbar. Alles, was sich zeigt darf sein und Wahrnehmung erfahren. Was bewegt Sie? Was geht Ihnen emotional nach? Über eine Begegnung in schriftlicher Form (per Mail: kontakt@begegnungen-bewegungen.de) oder in Form eines Telefonates würden wir uns freuen

»Leben ist nicht genug«, sagte der Schmetterling, »Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume muss man auch haben.«1                              Hans Christian Andersen

Wie kommen Menschen dazu sich über Andere zu stellen? Diese Frage geht mir immer wieder durch den Kopf. 

Um eigene Bedürfnisse, Ansprüche und Vorstellungen umzusetzen, wird ohne Rücksicht auf Andere, Unrecht begangen und ein Krieg mit all seinen Folgen in Kauf genommen. Eines der stärksten Mittel um seine Ziele zu erreichen ist die Angst. Sie wird geschürt und soll Andersdenkende davon abhalten sich zu äußern und sie möglichst klein und ruhig halten – sie werden mundtot gemacht. Es geht nicht darum in den Dialog zu gehen, sondern seine Position durchzusetzen.

Die Gedanken, sein Zuhause verlassen zu müssen, alles hinter sich zu lassen und nicht zu wissen ob und wann man wieder zurückkommen kann, sind unvorstellbar. Das ganze Leben ändert sich für die Menschen von einem Moment auf den anderen. Familien werden zerrissen, weil die Männer zurück bleiben und für ihre Heimat kämpfen wollen. Es geht auf eine Reise in die Ungewissheit, im Gepäck sind lediglich Verlust, Trauer, Ohnmacht oder Angst. Dazu kommt das Gefühl von fehlender Selbstwirksamkeit und dem Ausgeliefertsein.

Mütter haben den Wunsch, ihre Kinder zu beschützen und vor Schlimmem zu bewahren, sie wollen für sie stark sein und es fehlen die Worte die Bedrohung begreifbar zu machen.

In diesen Wirren hört man verschiedene Geschichten. Jeder erzählt sie aus seiner Perspektive, mit dem Bedürfnis Recht zu haben und zu bekommen. Vor allem den Gegner in einem ungünstigen Licht dastehen zu lassen, um sein eigenes Handeln zu legitimieren und zu rechtfertigen.

Stärkend kann jetzt vieles sein und jeder von uns kann einen Beitrag leisten, um Verbundenheit und Hilfsbereitschaft spürbar zu machen. Es ist wichtig, zusammen zu stehen, sich nicht einschüchtern zu lassen und klar Position zu beziehen – jeder dort wo er ist, in seinem Rahmen. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie Einzelne auf Kosten vieler Macht missbrauchen und Unheil und Leid bringen. Sich nicht in einer Spirale der Macht zu verfangen, sondern mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegenzuhalten und Veränderung zu bewirken sollte das Ziel sein.

Es gibt Verlierer auf allen Seiten und es was übrig bleibt nach Beendigung des Krieges ist Verletzung und Hass.

Es gibt viele Möglichkeiten etwas zu geben, sei es Zeit, Hilfe und Unterstützung, ein Obdach, Materialien oder Geld. Das Gefühl zu vermitteln, nicht allein zu sein und in seiner Not gesehen zu werden, kann schon hilfreich sein.

– Was würden Sie sich in einer bedrohlichen Situation wünschen? Was wäre Ihnen wichtig?

– Wann haben Sie schon einmal Hilfe und Unterstützung erfahren dürfen?

– Wie können Sie in Ihrem Bereich hilfreich sein und klar Position beziehen?

– Wodurch kann es für Flüchtlinge Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume geben?

– Was steht für Sie für Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume im Alltag?

Diana Aust

„Kriege entstehen aus dem Scheitern, das Menschsein der Anderen zu verstehen.“ ²        Dalai Lama                                                                          

Zuerst spaltete die Flüchtlingskrise, danach Corona und jetzt der Krieg in der Ukraine die Gesellschaft, die Politiker, die Teams und die Familien. Richtig oder falsch, die Meinungen und Standpunkte belasten die Beziehungen. Zugehörigkeit ist existenziell und findet die eigene Meinung Zustimmung fühlt man sich verstanden und gesehen. Habe ich das Gefühl, ein anderer Mensch teilt meine Geschichte, meine Erfahrungen, dann können Verbindungen, Solidarisierungen entstehen. Ein eigener Standpunkt, eine eigene Meinung haben zu dürfen ist das Privileg der Demokratie. Damit ist eine demokratische Gemeinschaft beständig gefordert, andere Positionen auszuhalten.

Die Herausforderung besteht darin, einen eigenen Standpunkt zu haben und sich gleichzeitig wertfrei für die Wahrnehmung der / des Anderen zu öffnen. Gelingt das, dann sind Begegnungen auf Augenhöhe und die Erkenntnis: „Aha, so ist es für Dich.“ „Aha, das macht es mit Dir.“ möglich.

Je größer die gesellschaftliche Gruppe ist, desto komplizierter und komplexer sind die Positionen. Es gibt weder einfache Lösungen noch schnelle Antworten. Jede/r ist gefordert, eine eigene Meinung zu haben und gleichzeitig Differenzfähigkeit zu besitzen.

Angenommen, jede Situation enthielte Belastungen und brächte zugleich Früchte hervor. Dann hätte jede Situation, jeder Moment wertfrei seine Berechtigung zu sein. Die Bedeutung, ob ein Ereignis ein Glück oder ein Unglück ist, geben wir. Jeder Krieg beeinflusst extrem die Einzel- und Familienbiografien, bringt Zerstörung und menschliches Leid in unermesslichem Ausmaß mit sich. Zugleich ist es ein von Menschen gemachtes Ereignis, auf welches, anders als bei Naturereignissen, Einfluss besteht.

Leider ist die Geschichte des Menschen auch mit kriegerischen Handlungen verbunden. Es wurde gekämpft um Nahrung, um Lebensraum, um religiöse Haltungen, um Macht und um Geld / Besitz. Zugleich spielten oft auch Kränkungen, sich nicht gesehen fühlen eine Rolle in den Auseinandersetzungen. Manche Kriege führten Völker gegeneinander, manche Fehden waren innerfamiliär.

Im Krieg würde zuerst die Wahrheit geopfert, war ein Leitthema in den Medien in der letzten Woche. Das würde bedeuten es gäbe nur eine „richtige Wahrheit“. Wahrheiten gibt es zumeist mindestens so viele wie es Beteiligte gibt. Denn jede Wahrnehmung ist individuell und für diese Person wahr. Welche Geschichte beeinflusst die Geschichte, die eine Person erzählt? Wer erzählt mir seine Geschichte und was soll ich daraus erfahren? Es ist ohne Frage eine Herausforderung, eine Geschichte hören, wahrzunehmen, was diese in mir auslöst und offen dafür zu bleiben, dass es daneben noch viele andere Geschichten gibt. Manche sind sich ähnlich. Andere haben einen anderen Fokus und schon entsteht ein anderes Bild. Auch durch Beschreiben und / oder Bewerten entstehen andere Bilder. Der Grat zwischen Beiden ist, wie der viel zitierte Mittelweg, schmal und oftmals schwer zu halten.

Darüber hinaus reagiert Europa auf die Flüchtlinge aus der Ukraine ganz anders als auf die Flüchtlinge, die sich 2014 / 2015 in ein besseres Leben aufgemacht haben. Der Krieg in unmittelbarer räumlicher Nähe löst andere Emotionen und Reaktionen aus als andere Kriege und menschliches Leid zuvor. Die Geschichte Europas scheint sich damit auch auf den Krieg auf dem eigenen Kontinent auszuwirken.

Der Dalai Lama lädt mit seinem Zitat dazu ein, daran zu arbeiten, das Menschsein des Anderen zu verstehen. Vielleicht liegen im Verständnis, im wertfreien Wahrnehmen des Gegenübers, im Aushalten des anderen Menschseins tatsächlich schon die Essenzen für ein friedlicheres Miteinander. Eine scheinbar leichte Aufgabe mit einfachen Worten formuliert.

– Wie kann es uns allen gelingen, Konflikte friedlich zu lösen?

– Welche emotionalen Verletzungen oder Kränkungen verführen uns selbst zu aggressiven Reaktionen?

– Was können wir selbst leisten, um, im Sinne des Dalai Lama, die familiären Gräben mit Brücken auszustatten?

– Was könnten Politiker von Ihrer Familie lernen, damit diese ein friedlicheres Miteinander gestalten können?

– Was sind Ihre ganz persönlichen Belastungen? Welche Bedürfnisse stehen dahinter?

– Welche Ängste und welche Sorgen beschäftigen Sie? Was steckt dahinter?

– Was nehmen Sie als Früchte wahr? Oder was könnten Sie als Früchte sehen?

– Welche Regeln, Werte, Handlungen geben Ihnen jetzt gerade Orientierung?

– Welche Werte sind durch die aktuellen Ereignisse für Sie in Ihren Fokus getreten?

– Was ändert sich, wenn ich den Fokus weite oder verschiebe?

– Wann und wie ist es Ihnen in den letzten Tagen gelungen, eine andere Person zu sehen, wahrzunehmen, wie es ihr gerade geht?

Katrin Firmthaler-Ködel

Sonderausgabe zu Krieg in der Ukraine

1 Quelle: https://www.leadershipjournal.de/zitate-leben/5/ am 04.03.2022

2 Quelle: Quelle : https://zitatezumnachdenken.com/dalai-lama/5817 am 04.03.2022